Auf den Spuren der Häppijusah

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Hier ein Text des freiberuflichen Autors Werner Tiki Küstenmacher, erschienen in der c’t 4-1994 auf Seite 208.

Finde ich auch heute noch witzig. Leider habe ich den Text nicht mehr im Internet gefunden. Deshalb hier mal zum Lesen…

“Nach der erheblichen Furore, die mein Bericht aus dem Reich der Soziologie machte, möchte ich heute gern ein weiteres Forschungsergebnis der Humanwissenschaften dem breiten Publikum näherbringen. Diesmal ist es eine aufsehenerregende Entdeckung der Anthropologen, die uns nachdenklich stimmen wird. Nachdem die Völkerkundler in den letzten Jahren deprimiert akzeptieren mußten, daß es wohl keine unentdeckten Urwaldstämme mehr zu finden gäbe, wurden sie vor wenigen Monaten fündig – mitten in der Zivilisation. Ausgerechnet unter den Computerbenutzern, die gemeinhin zu den eher hochentwickelten Menschenarten gezählt werden, stießen Mitarbeiter des anthropologischen Instituts der Münchner Ludwig Maximilians-Universität auf einen in der Entwicklung eigentümlich rückwärtsgerichteten Stamm. Nach eingehenden Sichtungen und zahllosen Interviews unter der Leitung des Ordinarius Prof. P. C. Kiehbort kamen die Wissenschaftler überein, den neuen Stamm nach dessen Selbstbezeichnung »homo häppijusah« zu nennen.
Äußeres Merkmal des Stammes ist der Gebrauch oft erstaunlich veralteter Hardware und die Verweigerung gegenüber neuen Versionen von Software, in der Stammessprache als “nix-app-däit” bezeichnet. Der Terminus Häppijusah indes bezieht sich auf den überwiegend fröhlichen Allgemeinzustand der beobachteten Gruppe, wie er in dieser Häufung bei den PC-basierten Spezies sonst nur selten auftritt. Nach Beobachtung von Prof. Kiehbort scheint die Zufriedenheit der Häppijusah stellenweise bereits zwanghafte Züge anzunehmen, da der Stamm im Gegensatz zu steinzeitlichen Urwaldvölkern nicht in der Isolation lebt, sondern inmitten von Fortschrittsfanatikern. Dadurch ist er deren Gespött ausgeliefert und befindet sich in einem permanenten Rechtfertigungsdruck. Dennoch dürfen die positive Gemütslage und eine gewisse Entspanntheit als herausragende Kennzeichen der Häppijusah gelten. Glück (»häppi-), so Prof. Kiehbort in seinem Bericht, sei kein Ergebnis des Zufalls, sondern ein mit Verstand und Gewitztheit herbeigeführter Zustand. Es gehöre dazu der Entschluß, auf einem zumeist willkürlich gewählten Punkt der Entwicklung stur zu verharren und sich innerhalb der gegebenen Grenzen optimal zu entfalten. Häppijusah beherrschen ihr Multiplan oder ihren Starwriter 1.0 mit der schlichten Eleganz aller Naturvölker, haben wegen des primitiven Werkzeugs eine enorme Fingerfertigkeit entwickelt und geben sich untereinander verblüffende geheime Tricks weiter, am liebsten während zeremonieller Stammestreffen. Der einfühlsame moderne Anthropologe fragt nicht, warum sich Häppijusah allen guten Argumenten verschließen und sich nicht auf den aktuellen Stand der Technik heraufdaten lassen wollen, sondern er beschreibt in strenger Neutralität das Phänomen. Dabei stößt er bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Unterstämme auf frappierende Gemeinsamkeiten, etwa den gebetsmühlenartig wiederholten rituellen Refrain »tasta-kein-maus«.
Häppijusah sind, gerade weil sie inmitten der Versuchungen moderner Windows-Zivilisation leben, eine äußerst bedrohte Art. Anfängliche Pläne, ausgewählte Lebensräume der Häppijusah in den Ferienmonaten für interessierte Hightech-Touristen zu öffnen, wurden deshalb schnell wieder verworfen. Auch kam man von dem Plan ab, in einer Halle auf der Cebit eine Sonderschau »Frühe Programmierfähigkeiten der Häppijusah« zu präsentieren, bei der besonders begabte Angehörige des Stammes in freundlich gestalteten Glaskabinen ihre Künste zeigen sollten. Dabei hätte eine Vorführung wie »Zweispaltensatz mit Word 1.0« oder der stimmungsvolle »Nächtliche Sortierlauf von dBase II« vielleicht mehr Publikumsinteresse hervorgerufen als das elfte Update eines 3D-Zeichenprogramms.
Häppijusah sind, so scheint es auf den ersten Blick, volkswirtschaftlich ein Negativposten. Sie nutzen Hardware weit über die Abschreibungsgrenze, ihr Arbeitsplatz ist buchhalterisch demnach gar nicht mehr existent. Folgerichtig schlüpfen sie auch durch jede Statistik und sind aus dem Bewußtsein des höheren Managements weitgehend gelöscht. Doch die Anthropologen lehren uns, daß die Zufriedenheit und die unbestreitbare Effektivität der Häppijusah einen Schatz darstellen, der eines Tages für uns alle vielleicht noch von unschätzbarem Wert sein könnte. Prof. Kiehbort beschwört in seiner Analyse ein Szenario unzähliger miteinander konkurrierender 128-Bit-Betriebssysteme auf weißglühenden RISC-Prozessoren im Gigahertz-Bereich, mit Terabyte-Speichem und vierdimensionalen Echtzeit-Videoadaptern [1994! sic], in deren Mitte die Menschen von der ursprünglichen, rauhen Direktheit eines WKS-Worksheets oder einer Basic-Zeilennummer träumen. Und dann werden wir sie dankbar besuchen, die mit Staatsmitteln erhaltenen Häppijusah-Reservate.”

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