Der SPIEGEL: Sagen, was ist…

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Einige Gedanken zu dem Thema ‘Claas Relotius’ und dem ‘Drum-Rum’.

Generell finde ich, das der SPIEGEL dem Leitgedanken des Gründers ‘Sagen, was ist’ wenig entspricht, oder besser, wahrscheinlich gar nicht entsprechen kann. Dazu müsste der SPIEGEL nämlich im Besitz der absoluten Wahrheit sein.
Es sei denn mit dem ‘was’ ist irgendwas x-beliebiges gemeint.

Die Chef-Redakteure, Journalisten und alle weiteren an einem Artikel Beteiligten können immer nur ihre Sicht der Dinge darstellen.
Wobei meines Erachtens klar ist, dass je mehr Menschen an einem Artikel arbeiten, umso näher kann er der Wahrheit kommen.
Da dies aber nicht unserer kapitalistischen Welt entspricht, in der versucht wird, mit immer weniger Ressourcen entweder das gleiche oder sogar mehr zu erzeugen, entsteht immer mehr Druck auf immer weniger Menschen, die an einem Artikel arbeiten.

Meines Erachtens entsteht der größte Druck durch eine Redaktion, die eine hohe Auflage erwartet. Und das ist, trotz gegenteiliger Behauptungen, gerade auch beim SPIEGEL der Fall.
Hinzu kommt bestimmt, dass einige Journalisten beim Schreiben auch mit einem Auge auf Preise und Würdigungen schielen.

Wirtschaftlich und menschlich zu verstehen, steht dies dem Leitgedanken des SPIEGEL oft konträr gegenüber.
Es wird wahrscheinlich nur sehr wenige Geschichten in dieser Welt geben, die die Anforderungen aller Beteiligten erfüllen können.
Also wird verständlich, wenn von einem Journalisten an entsprechenden Stellen ‘nachgeholfen’ wird.

Auch ich bin von einigen Reportagen dieser Art im SPIEGEL beeindruckt gewesen, obwohl manchmal ein ‘schaler Beigeschmack’ nach dem Lesen zurück geblieben ist.
Klar ist für mich aber auch, dass von einer Reportage, die sich leicht liest und in der der ‘Rhythmus’ stimmt, mehr im Kopf hängenbleibt als bei einem eher trocken präsentierten Stoff.

Leider verkehrt sich das jetzt ins Gegenteil, wenn man bei einer ‘schön’ geschriebenen Geschichte ständig im Hinterkopf haben muss, dass die ja auch großteils ein Fake sein könnte.
Nach diesem Vorfall ist jetzt leider auch der SPIEGEL in einer Situation, in der immer mehr Leute immer lauter ‘Fake-News’ rufen.

Hierzu gibt es die Geschichte eines Bekannten, der vor einiger Zeit zu seiner Arbeit interviewet wurde und sich hinterher im Artikel in keinster Weise wiedergefunden hat. Es ging nur darum, eine Geschichte zu schreiben, die den Erwartungen des Reporters entsprach.
Und der wollte eine Geschichte liefern, von der er glaubte, dass die Leute sie gerne lesen und die Ihren Vorurteilen entspricht. Das war allerdings nicht im SPIEGEL !!
Wenn es gerade nicht passend ist, werden die Fakten eben so lange ‘angepasst’ oder ‘erfunden’ (wo ist da die Grenze?), bis die Geschichte ‘gut’ ist. ‘Gut’ in dem Sinne, wie der Journalist meint, eine große Leserschaft zu erreichen und/oder ‘preiswürdig’ zu sein.

Sehr viele Artikel im SPIEGEL über den Politik-Betrieb in Deutschland sind von solcher Machart und damit fast nicht wert, sie zu lesen.
Flott geschrieben zwar, und teilweise schon fast unheimlich gut darin, Politiker unterschwellig ‘in die Pfanne’ zu hauen.
Damit hat man eine unterhaltsame Geschichte, mit der auch gleich noch die Schadenfreude der Leser bedient wird.
Dazu sind Politiker ja schließlich da, oder nicht?
Für mich gilt, dass ich im SPIEGEL nichts über Politik lese, was kein Interview ist.

Das sind alles Teile eines Puzzles, welches sich zumindest bei mir im Laufe der Zeit immer mehr vervollständigt.
Ich habe seit dem unappetitlichen Skandal mit den Hitler-Tagebüchern auch keinen STERN mehr angefasst und werde dies auch zukünftig nicht machen.
Ich denke, die Reportagen von Claas Relotius haben Ihren Zweck erfüllt, nämlich dem SPIEGEL Auflage zu bringen und im Gespräch bei Preisverleihungen zu bleiben. Dafür hat man gerne das eine oder andere Auge zugedrückt, wenn es um ‘Tatsachen’ ging, was ich durchaus nachvollziehen kann.

Wenn ich z.B. Artikel eines Jan Fleischhauer und anderen lese, in denen ‘lustig’ Fakten verdreht dargestellt oder gleich unterdrückt werden, wenn dafür eine unterhaltsame Geschichte entsteht, weiß ich genau, dass sich beim SPIEGEL nichts ändern wird.
Das ist eine ähnliche Vorgehensweise wie bei Claas Relotius, nur schaut man bei diesen Herrschaften wohl nicht so genau hin.

Jeder Journalist, der regelmäßig was abzuliefern hat und seinen Lebensunterhalt damit verdient, steht unter diesem Druck.
Wie auch von Class Relotius beschrieben mit den Worten “mein Druck, nicht scheitern zu dürfen, wurde immer größer”.
Der SPIEGEL sollte sich endlich zugestehen, dass dieser Druck in einer kommerziellen Umgebung immer vorhanden ist.

Es gibt in dieser Welt fast keine eindeutigen Aussagen zu einem Thema, sehr viele Dinge oder Vorfälle haben unterschiedliche Aspekte und Deutungsmöglichkeiten, je nach Standpunkt.
Und wenn der Schreiber unter dem Druck steht, eine Geschichte zu liefern, die gerne gelesen wird und um damit die Auflage zu steigern, wird er verständlicherweise einen entsprechenden Standpunkt einnehmen und ‘Fakten anpassen’. Wer will da entscheiden, welcher Standpunkt dem Motto ‘Sagen, was ist.’ entspricht?

Wenn man die Artikel zur Aufarbeitung der Fälschungen im SPIEGEL liest, ist das, was dort geschrieben wurde, wieder genau der Stil, den ich kritisiere. Ich denke hier auch an die ‘Rekonstruktion in eigener Sache’ von Ullrich Fichtner.
Es wird eine flotte Geschichte geschrieben, die ganze Schuld wird auf Claas Relotius abgewälzt, die SPIEGEL-Redaktion und die Chef-Redakteure können nichts dafür und sie alle wurden getäuscht.
Das aber genau diese Chef-Redakteure die Hauptursache für diesen Druck sind, wird einfach unter den Teppich gekehrt.

Das MUSS sich ändern!! Wie sagt der Volksmund, ‘Der Fisch stinkt immer vom Kopf her’.

Ich frage mich, wie kommt jemand auf die Idee ‘Jetzt verstehen wir mal die Amerikaner…’ und sendet dann kurzerhand seine Reporter für einige Wochen in die USA nach Fergus Falls?
Das ist doch je nach Menschen, Ort und Zeit immer nur eine Momentaufnahme und kann und wird nie dem Anspruch ‘Sagen, was ist…’ gerecht werden.
Auch kann ich mir gut vorstellen, dass Claas Relotius Aussagen von Leuten bekommen hat, die bei der Nachbefragung durch einen anderen Reporter genau das Gegenteil sagen.

So mache ich das ja auch… 😉
Im heutigen Zeitalter der ‘Daten-Kraken’ kann man sich und seine Privatsphäre nur noch ein wenig schützen, indem man, wann immer möglich, vollständig falsche Angaben macht.
Erstens über sich und zweitens über die Umstände. Je nachdem, was ich erreichen will, werden die Aussagen eben angepasst…

Unter diesem Gesichtspunkt steht für mich hinter dem Leitgedanken des SPIEGEL ein großes Fragezeichen.
Das wird vielleicht auch verständlicher, wenn man sich klarmacht, dass der Leitgedanke aus einer ganz anderen Zeit kommt.
Viele Menschen aus den 60er Jahren haben wahrscheinlich wirklich noch sehr oft geglaubt und getan, was Sie gesagt haben.

Heutzutage unterscheidet sich das öffentliche Profil und die private Person teilweise ganz erheblich, und je nach Situation wird das eben auch ‘angepasst’. Weil in Interviews oder bei Gesprächen die gleiche Person immer wieder unterschiedliche Standpunkte wählen kann und auch wählen wird, wird es für Journalisten eigentlich fast unmöglich, zu ‘Sagen, was ist’.

Die Artikel, die ich im jedem SPIEGEL immer am liebsten lese, sind

  1. die halbe Seite zu einem Thema ‘Früher war alles schlechter’. Das sind überprüfbare Fakten, die auch noch eine positive Aussage haben.
  2. Interviews. Ich finde, die Interviewer vom SPIEGEL haben Wissen und Hintergrund-Informationen, bei denen ich sehr oft den Hut ziehe. Man merkt die gute Vorbereitung auf das Gespräch. Dadurch kommen oft Meinungen und Hintergründe zutage, die mich erstaunen und wirklich weiter bringen.

Meiner Meinung nach ist das die beste Art zu ‘Sagen, was ist…’ Warum nicht mehr davon?

Zum Schluss noch ein persönliches Anliegen:
Ich bin dagegen, dass Claas Relotius als der Alleinschuldige hingestellt wird, da sind Leute aus der Chefradaktion mindestens genauso verantwortlich.

Und wenn die Menschen in Fergus Falls jetzt wirklich in der nächsten Zeit ein Fest aufziehen, wie bei Claas Relotius beschrieben, dann ist er weit über das Motto ‘Sagen, was ist’ hinausgekommen und er könnte für sich das Motto in Anspruch nehmen ‘Sagen, was sein wird’ 😉
Der SPIEGEL sollte das in den nächsten Jahren regelmäßig überprüfen.
Wenn das wirklich so kommen sollte, wären manche seiner Geschichten weit über dem, was sonst so im SPIEGEL geschrieben steht… 😎

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